Another Day In Paradise.

Meine große Tochter, die im Sommer 14 Jahre alt wird, möchte ihren Vater kennenlernen.

Rrrrumms.
Mit einem Mal sind sie da, die Erinnerungen an längst verarbeitet geglaubte Gefühle & Geschehnisse. Und damit sind keine schönen gemeint.
Obwohl - das stimmt so eigentlich nicht. Denn - wie ich bereits vor gut einem halben Jahr mal über u.a. diesen Teil meines Lebens schrieb - ich habe diesem Mann verziehen, in mir drin, um eine gereinigte Basis für mein Leben nach dieser Beziehung, nach all dem, was passiert ist, zu haben.
Aber vergessen habe ich nichts.
Es ist natürlich nicht immer alles präsent, und auch, wenn danach noch 2,3 Beziehungen folgten, die mir bestätigten, daß Männer ja nur Schweine sind (jaja, OK, natürlich lag das Scheitern auch immer ein winzigklitzekleines Bißchen an mir selbst *g*), so hat Herr Budenzauberer als bisher einziger mir dabei geholfen, das zu widerlegen und einiges zu verarbeiten (Danke!), obwohl er nicht selten noch unter verschiedenen Nachwirkungen zu leiden hatte.
J.'s Vater war ist (warum ich mir da so sicher bin, folgt noch) Alkoholiker, hochgradiger.
Selbst nach mehr als 12 Jahren, die seit der Trennung vergangen sind, gucke ich noch schief (mal offensichtlich, mal nur innerlich), wenn Herr B. sich mal (was eh schon selten genug vorkommt) ein Feierabend-Bierchen gönnt.
5 Jahre mit einem Alkoholiker haben sensibilisiert. Ich bin mir sicher, einen Alkoholiker (in welche Kategorie auch immer er reingehört) auf 10 Meter Entfernung zu erkennen (Herr B. ist natürlich keiner, aber die Ängste vor der durch Alkohol bewirkten Veränderung sitzen nicht tief, sondern verdammt dicht unter der Haut).

5 Jahre mit einem Alkoholiker waren Horror, aber sie haben mich auch zu dem gemacht, was und wer ich heute bin, haben mich geprägt in eine - wie ich meine - positive Richtung.
Nicht, daß ich diesem Mann und Vater meiner Tochter dankbar dafür bin, beileibe nicht.
Den einzigen Dank, den ich ihm entgegenbringen kann, ist der für diese wunderbare Tochter.
Und dieses wunderbare Kind möchte nun diesen Mann, mit dem sie ihre ersten anderthalb Lebensjahre verbacht hat, kennenlernen.
Den Mann, der stets sein ganzes Geld versoffen hat, statt Heizungsöl zu kaufen, so daß es im ersten Winter, als die Kleine kein halbes Jahr alt war, so kalt in der Hütte war, daß ich mir die Hände über dem Toaster angewärmt habe, bevor ich sie wickelte, und sie mit Mützchen im Bett schlafen mußte.
Den Mann, der mir viel zu wenig Haushaltsgeld gab und ich wußte, daß er es wieder als Anlaß nehmen würde, sich volllaufen zu lassen, wenn er erfährt, daß ebendieses Haushaltsgeld schon wieder aufgebraucht ist. Also tat ich so, als hätte ich noch Geld und klaute (!) im Lebensmittelmarkt die teuren Sachen wie das Fleisch für's Wochenende, auf das der Herr ja bestand, und die Spezialnahrung für die Kleine. Das ist mir noch nach 12 Jahren peinlich.
(Ich bin jetzt soweit, daß ich da mal hinfahre, mich nachträglich entschuldige -soweit das möglich ist- und den geschätzten Wert der geklauten Ware zurückgebe.)

Natürlich hat er sich trotz sonntäglichen Schweinebraten zugedröhnt.
Und anschließend mich.

Es gehörte natürlich zu seiner Taktik, mit mir in ein 30 Kilometer von meinen Eltern entferntes Bauernhaus zu ziehen, völlig entlegen zwischen zwei Dörfern, ohne Auto. Kindergarten und Einkaufs(klau)möglichkeiten in jede Richtung 5 Kilometer entfernt, alles mit Kinderwagen und Fahrrad zu erledigen. Das alte Wählscheibentelefon konnte man damals ja abschließen, was er auch tat.
Wenn er nicht besoffen war, konnte er dermaßen gut und überzeugend Leute zutexten, daß er ihnen den Himmel für Rot und Wasser für trocken verkaufen konnte, und das war mein Verderben. Denn alles, was ich in meiner Not ob meiner Situation meinen Eltern, Freunden und Nachbarn erzählte (Hilfeschreie!), widerlegte oder verharmloste er bei nächstbester Gelegenheit.

Doch, unsere Tochter war "geplant" und gewollt, auch von ihm.
Wenn andere Leute anwesend waren, war er auch ein wunderbarer, liebevoller Vater. Familie Sonnenschein.
Aber wehe, wir waren allein...
Nein, seiner Tochter hat er nichts angetan. Im wahrsten Sinne des Wortes. Doch, es gibt Fotos, auf denen beide drauf sind. Aber eben, man post ja für's Familienalbum.
In dem der Tochter befinden sich die Fotos auch alle, sie "kennt" ihren Vater also. Erinnern kann sie sich natürlich an nichts mehr. Als sie anderthalb war, zog ich aus. Während er auf der Arbeit war. Hatte alles tagelang gut vorbereitet (ich bin noch heute ein Organisationstalent *g*), und dann ging alles ganz schnell. Wie ich schon mal erzählte, merkte ich die Verwandlung in mir, als ich die letzten Meter vom Hof fuhr.
Es mag mich niemand nach dem "Warum" fragen - warum ich so lange mit diesem Mann zusammengeblieben bin - ich kann es nicht sagen. Eine mögliche Erklärung ist dieser (wohl typische frauliche) Ehrgeiz, den Mann ändern zu können. Konnte ich aber nicht. Wer hätte das gedacht.

Jahre später, wir wohnten bereits in der Schweiz (1997-2000), bekam ich einen Anruf von einer Frau, die sich als damalige Lebensgefährtin dieses Mannes ausgab. Sie hatte in seinen Unterlagen Briefe vom Jugendamt gefunden und unsere neue Adresse bzw. Telefonnummer ausfindig gemacht und wollte sich bei mir aussprechen. Ich war schlagartig um Jahre zurückversetzt, denn diese Frau beschrieb ihre Beziehung genauso, wie ich es damals tat, wenn ich mich bei meiner Mutter oder Freundin ausquatschte. Im Grunde war sie aber noch schlechter dran als ich, denn wenn er so viele Jahre nach unserer Trennung noch immer soff, waren die Aussichten, daß er damit aufhört, verschwindend gering. Es folgten noch 2 oder 3 weitere Telefonate mit dieser Frau, der ich zunächst meine Hilfe bzw. mein offenes Ohr anbot, weil ich aus eigener Erfahrung wußte, daß es wichtig ist, jemanden zum Reden zu haben. Aber danach brach ich den Kontakt ab, weil es mich doch sehr aufwühlte. Es tat mir weh, da eine Frau an meiner Stelle zu wissen, die genau das gleiche oder vielleicht sogar noch schlimmer das erlebt, was ich bereits durchgemacht hatte. Mittlerweile weiß ich, daß auch sie den Absprung geschafft hat.

Da die Unterhaltszahlungen über das Jugendamt abgewickelt werden und hin und wieder mal eine nicht pünktlich eintrifft, stehe ich in gutem Kontakt mit dem Amt und erfahre so immer mal wieder Kleinigkeiten, z.B. die Ausreden für seine verspäteten Zahlungen: "Bank hat da was verwechselt", "Zahlendreher in der Kontonummer drin gehabt" usw. Jaja.
Ich kenne den wahren Grund, ich habe ihn 5 Jahre lang miterlebt.

Zum 2. Geburtstag im Sommer nach unserem Auszug (das war der 24.März 1994, dieses Datum vergesse ich nicht) schickte er ihr eine Karte und ein kleines Päckchen. Mit Delphin-Ohrringen. Obwohl wir - als wir noch miteinander redeten - immer gesagt haben, daß wir ihr nie Ohrlöcher machen lassen würden, weil sie das selbst entscheiden soll, ob sie welche haben möchte. Sie hat noch immer keine. Die Ohrringe liegen in einer "Erinnerungskiste".

Danach kam nichts mehr.
Unter normalen Umständen könnte man sich ja noch sagen, er wolle sich nicht in das Leben des Kindes einmischen, es in Ruhe lassen, vielleicht auch, um es sich selbst nicht schwer zu machen.
Aber ich habe ihm, bevor wir in die Schweiz zogen, also 3 Jahre nach der Trennung, die Hand gereicht, habe ihm einen Brief geschrieben und den bevorstehenden Umzug nach weit weg angekündigt, ein paar Fotos vom Kind und ein gemaltes Bild beigelegt und angeboten, sich zu treffen, um Kontakt zur Tochter herzustellen und aufzubauen, weil es ja künftig schwierig werden würde, sich zu treffen und es sicher gut wäre, das nun im Vorfeld zu machen.
Keine Antwort.

Muß ich respektieren, klar.
Aber ich habe getan, was in meiner Macht stand und wollte auch eventuellen Vorwürfen seitens meiner Tochter vorbeugen, warum ich denn nicht Kontakt zu ihm aufgenommen habe - nun, habe ich ja. Erledigt.

Bis vor 2 Wochen, als sie mir sagte, daß sie ihn gerne kennenlernen möchte.
Darf sie, soll sie.
Sie kennt die ganze Geschichte (natürlich bis auf einige Details, die sie nicht wissen muß und die nicht mal hierher gehören), ich habe sie ihr immer altersgerecht (hoffe ich) erzählt.

Ich weiß, daß er sie liebt. Tief in sich drin.
Aber davon hat sie nichts.
Und er wird es ihr auch niemals geben können.
Einerseits bin ich froh darüber, andererseits tut es mir leid.
Tut sie mir leid.

Ich helfe ihr bei der Kontaktaufnahme so gut ich kann.
Aber ich habe Angst.
Nein, nicht vor ihm.
Sondern davor, daß er meine Tochter enttäuscht.

Weil er vielleicht nicht antworten wird.
Weil er sich vielleicht vor einem eventuellen Treffen "Mut" ansaufen muß.

Ich befürchte, diese Erfahrung werde ich ihr nicht ersparen können.
Aber ich bereite sie darauf vor, so gut ich kann.
Die Gratwanderung dabei ist nicht leicht - einerseits das Trennen von den Beziehungsproblemen, die das Kind nichts angehen, gleichzeitig aber die Alkoholabhängigkeit nicht verheimlichen, und noch dazu dem Kind nicht das Gefühl geben, es sei an der ganzen Misere schuld.

Ich kann es aber nicht bereuen, daß ich diesen Mann als ihren Vater ausgesucht habe.
Denn hätte ich das nicht, hätte ich nicht diese wunderbare Tochter.

(Mir fiel kein gescheiter Titel für diesen Beitrag ein, darum habe ich den Song von Phil Collins gewählt, der mich all die 5 Jahre mit diesem Mann begleitet hat. Seitdem kann ich dieses Lied nicht mehr ertragen/hören. Geht mir nicht mit allen Liedern so, aber mit diesem schon.)
C. Araxe - 2006-02-09 10:41

Trotz alldem. Es ist sehr, sehr wichtig für Ihre Tochter.

Budenzauberin - 2006-02-09 10:48

Yep.
Ich lasse sie damit ja auch nicht allein und helfe ihr sogar beim Brief an ihn.
dori - 2006-02-09 13:50

Hut ab und Respekt:
..dass sie die Zeit überstanden haben
..dass sie den Absprung geschafft haben
..dass sie so offen damit umgehen
..dass sie ihrer Tochter die Chance geben, sich selbst ein Urteil zu bilden.

wow.

Budenzauberin - 2006-02-09 16:30

Danke, Frau Dori.

(Ich kann doch mit Komplimenten ganich umgehen, menno.)
dori - 2006-02-10 09:24

bitte

(dann lernen sie´s halt!;-))
Budenzauberin - 2006-02-10 16:34

*grummel*

Jajajaaaaa.
timanfaya - 2006-02-09 14:47

auch wenn man es nicht verbieten kann - vielleicht ein wenig früh für die "wahre" realität. ich habe mit den jahren immer öfter von gleichaltrigen gehört [also viele jahre danach], warum, wieso und wie sehr sie sich für eltern geschämt haben. insbesondere in dem alter. da fehlt noch völlig die möglichkeit "so etwas" mit einer gewissen distanz zu betrachten. hinzu kommt, wenn "er" nicht das ist, was sich im kopf des kindes bereits als bild festgesetzt hat.

C. Araxe - 2006-02-09 14:49

Wie auch immer die Realität aussieht - Ungewissheit ist schlimmer.
Budenzauberin - 2006-02-09 16:29

Genau, Frau Araxe, ganz genau.

Herr Timanfaya - achnee, wir waren ja schon beim Du...nein, ich denke, da gibt es keinen richtigen oder falschen Zeitpunkt. Es ist dann an der Zeit, wenn das Kind das will. Und sie ist mit ihren fast 14 ja nun kein kleines Kind mehr. Es gibt nur eine einzige Realität. Und die habe ich, wie ich glaube, altersgerecht aufgetischt, in kleinen für sie aus meiner Sicht verträglichen Häppchen. Nachdem, was sie nun schon alles weiß, bin ich mir sicher, daß dieser Mann auf keinem Sockel steht, dennoch ist und bleibt es ihr Vater, den sie einmal kennenlernen möchte. Wahrscheinlich sieht er noch genauso aus wie auf den Fotos von vor 12 Jahren, aber sie will ihn mit eigenen Augen sehen.
Daß ihr die Reife und Erfahrung fehlt, diese ganze Geschichte mit Distanz zu betrachten, steht außer Frage. Da baue ich aber darauf, daß sie mir vertraut und sich von ihm nicht den Himmel für Rot und Wasser für trocken erklären läßt.
timanfaya - 2006-02-09 16:50

einen "richtigen" zeitpunkt gibt es wahrscheinlich nie. mir fällt gerade die geschichte ein, daß ich eine schwester habe [was ich bis heute seit ca. min. 10 jahren vergessen habe. muß ich unbedingt jemandem erzählen, bei dem ich es bisher auch vergessen habe]. war auch in dem alter. tut aber nix zur sache. ich meinte mit "etwas früh" die persönliche entwicklung, gewisse dinge nicht mit sich selbst in verbindung zu bringen. schuld-, scham- und sonstwasfürgefühle. "kinder" nehmen sich anscheinend oft dinge zu herzen, die überhaupt nicht auf sie zurückzuführen sind [zum bsp. mangelnder kontakt]. erzählen tun sie das aber nicht, weil sie es in gewisser weise auch nicht bewußt wahrnehmen bzw. die zusammenhänge nicht erkennen. außerdem ist das 2. thema [alkohol] auch hardcore, bzw. "gewöhnungsbedürftig". das ist so ähnlich wie mit dem kontakt zu demenskranken. da muß man erstmal reinwachsen und braucht durchaus ein sonniges gemüt.

[beim tippen fällt mir auf, das gewisse themen schwierig tippbar sind. das merkt man immer an der steigenden anzahl der "s]
Budenzauberin - 2006-02-09 20:58

Kennst Du Deine Schwester persönlich? (Ich gehe jetzt mal davon aus, daß es sich um eine "Halb"-Schwester handelt, die man ja nicht zwingend kennen muß.)

Neenee, soweit sind wir längst mit unseren Gesprächen, daß sie weiß, daß das alles ganix mit ihr zu tun hat. Ich bin mir auch ziemlich sicher, daß auch keine unbewußten Schuld- oder wie auch immer geartete Gefühle da sind.
Ich selber kenne meinen leiblichen Vater auch nicht und werde ihn auch nie kennenlernen, und ich kann sehr gut nachvollziehen, was in meiner Tochter vorgeht.
Hmmm - Deinen Vergleich mit an Demenz Erkrankten kann ich nicht ganz nachvollziehen (habe ihn aber vielleicht auch nur nicht richtig verstanden, korrigiere mich bitte), das ist ja schließlich eine Krankheit, für die niemand was kann. Und leider auch niemand was tun kann.
Ist ja beim Alkoholiker anders.

(Ja, ich weiß, was Du meinst mit den vielen ", ich kenne das.)
timanfaya - 2006-02-10 08:54

ja, aber nur wenige male gesehen. vor über 20 jahren. sie wollte damals unseren gemeinsamen vater kennenlernen, ohne den sie aufgewachsen ist. sie müßte damals so um die 16 ich um die 14 gewesen sein. ich wußte bis dahin von nix, wollten mir meine eltern irgendwann mal erzählen. ich weiß nur noch, daß es eine komische situation war. es fühlte sich irgendwie nicht real an. und da es danach keine weiteren bezüge gab, habe ich es über die jahre schlicht vergessen.

das mit der "komischen" situation meinte ich mit den gewöhnungen an "nicht normale" situationen. egal welche krankheit. menschen die weit jenseits einer normalen rationalen entscheidungswelt leben [egal ob mit oder ohne eigene schuld] verursachen bei unbeteiligten immer so eine gewisse hemmschwelle und berührungsängste.
blogistin - 2006-02-10 10:00

bei allem für und wider: der kernsatz, den frau araxe ausgesprochen hat, ist auch meines erachtens nach das wichtigste in diesem zusammenhang: “Wie auch immer die Realität aussieht - Ungewissheit ist schlimmer.”
ungewissheit ist etwas, das menschen sehr zermürben und aus dem gleichgewicht bringen kann, ja sogar das eigene selbst-bewusst-sein erschüttern kann.
wenn ihre tochter aber lernt, sich den dingen, der realität zu stellen, sich ihr eigenes urteil bilden zu können, ja, vielleicht auch die erste enttäuschung ihres lebens zu erfahren, und das alles gestützt und, im falle einer möglichen enttäuschung, aufgefangen durch ihr vertrauen und ihre liebe, frau budenzauber, dann wird sie daran nur wachsen können. und ich glaube, dafür ist es nie zu früh und nie zu spät.
Budenzauberin - 2006-02-10 14:45

Danke, Timanfaya, jetzt habe ich das mit der "komischen" Situation verstanden und stimme dem zu. Mein Sohn war damals zwischen 3 und 7 Jahre alt, als er manches Mal miterlebte, wie der Vater seiner Schwester im Suff ausrastete. Ich habe mir Mühe gegeben, es ihm zu erklären, was da passierte (also sowohl die Situationen als solche als auch die Krankheit des Mannes), so gut ich im Glauben war, wie es ein eben 7jähriger verstehen kann. Konnte er natürlich nicht. Ich erinnere mich, daß er am nächsten Morgen, als ich längst mit meinen Kindern wieder allein lebte und er so ca. 9 oder 10 gewesen sein muß und ich am Vorabend eine Teamsitzung bei mir hatte, bei der ein Kollege auch ein Bier getrunken hatte und die leere Flasche nun in der Küche stand, daß er mich da sehr grantig anguckte und sehr ängstlich fragte, wer das Bier getrunken hätte. Er hatte Angst, daß ich dem Alkohol verfalle.

Deine Situation/ Gefühle zur Schwester kann ich verstehen. Ich selber habe zwei sogenannte Halbschwestern (gleiche Mutter), bin mit ihnen aber zusammen großgeworden und habe ihnen gegenüber Empfindungen, von denen ich glaube, daß sie sich nicht von denen zu einer "richtigen" Schwester unterscheiden würden. Es gab bei uns auch nie böse Worte im Streit wie etwa "Das ist unser Vater und nicht Deiner!" oder so.

Frau Blogistin, schön, daß Sie das nochmal aufgegriffen haben, denn wie schon erwähnt, sehe und empfinde ich das genauso.
Meine Mutter enthielt mir aus persönlichen Gründen bis zu meinem zwanzigsten (!) Lebensjahr meinen leiblichen Vater vor. Immer wieder habe ich sie danach gefragt, aber sie rückte damit nicht heraus. Das war unerträglich für mich, ich habe es aber dennoch all die Jahre auf eine bestimmte Weise respektiert, daß sie es nicht sagen wollte. Blieb mir ja auch nix anderes übrig. Verstanden habe ich es jedoch nicht. Erst mit 20 ergab sich ein Gespräch über dieses Thema, seit dem weiß ich, daß ich meinen Vater niemals kennenlernen werde, es keine Verwandtschaft von ihm gibt, über die ich noch irgendwelche Informationen oder Fotos bekommen könnte (näheres dazu möchte ich nicht schreiben). Aber damit kann ich leben, weil das auch eine Form von Gewissheit ist. Ich konnte dieses Kapitel somit ein für allemal abschließen. Aber die Jahre davor waren genauso, wie Sie schreiben: zermürbend und aus dem Gleichgewicht bringend.
Und Ihre zwei letzten Sätze sind ganz besonders schön, Danke! :-)
Brille - 2006-02-09 17:13

Je nachdem von welcher Seite Sie es auch betrachten. Wann ist schon der richtige Zeitpunkt? Aber Ihre Tochter hat gewählt und beschlossen, dass der Zeitpunkt gekommen ist. Stehen Sie ihr bei, begleiten Sie sie wie schon all die Jahre. Sie wird Sie und auch ihre Sicht der Dinge und Ihr Urteil brauchen.

Tolle Mutter, verdammt tolle Mutter - Sie!

Budenzauberin - 2006-02-09 21:04

Da mußte ich jetzt aber erstmal schlucken - so liebe Worte...Danke, Herr Brille. :-)

(Mit Komplimenten konnte ich noch nie umgehen, aber ich arbeite dran, versprochen!)

Und ja, genau das ist, denke ich, der Punkt: für sie ist jetzt der Zeitpunkt, den hat ihr Kopf, Bauch, Herz oder vielleicht auch nur die Pubertät genannt, also ist er auch richtig.
Vorhin hat sie sich Fotos ausgesucht, von denen sie eines mitschicken möchte, fand aber kein "gutes" und möchte extra eins anfertigen lassen. ;-)
nilannaiel - 2006-02-09 20:14

WOW!

Bewunderung! Da muß eine starke Persönlichkeit dahinter stecken! Ich bin beeindruckt!

Budenzauberin - 2006-02-09 21:10

Ähm... mal abgesehen davon, daß ich - wie jetzt auch schon mehrfach erwähnt - mit Komplimenten absolut nicht umgehen, sie wohl aber zur Kenntnis nehmen kann: ich betrachte all mein da oben beschriebenes Tun eigentlich als Selbstverständlichkeit, derer sich jeder alleinerziehende und/oder geschiedene Elternteil bewußt sein sollte. Ich weiß aber aus ebenfalls eigener Erfahrung, daß das mitunter nicht möglich und genau das manchmal auch besser für das Kind ist.
Daß mit dem Beeindrucken heben Sie sich mal besser für die wirklich guten Taten von Menschen auf, OK?! ;-)
nilannaiel - 2006-02-10 13:41

Sind es nicht gerade die kleinen guten Taten, die das Leben lebenswert machen? Ich glaube nicht wirklich an große Helden mit großen Taten und finde es gerade toll, wenn es als selbstverständlich angesehen wird, die Welt für die Menschen im Umfeld schöner zu gestalten und für sie da zu sein.
Beeindruckt bin ich darüber, was Sie alles haben ertragen müssen und trotzdem so ein netter Mensch geblieben sind.
Und im beeindruckt sein bin ich gut, das muß ich mir nicht aufsparen, da bleibt für jeden was übrig ;-)
Budenzauberin - 2006-02-10 16:34

Okeehokeehokeeh!

Danke. ;-)
Kinkerlitzch3n - 2006-02-09 21:11

Schwierige Sachen allesamt.

Auch ich ziehe den Hut vor Ihrer Kraft und Ihrem Durchhaltevermögen. Alkoholismus ist eines der schlimmsten Dinge, die man als Angehöriger erleben kann.

Und ich denke, Ihre Tochter kann froh sein, solch eine wunderbare Mutter zu haben.

Ich bin mir sicher, daß alles gut ausgehen wird und wünsche Ihnen allen nur das Beste!

lg Kinkerlitzch3n

Budenzauberin - 2006-02-10 16:17

Da ich weiß, daß Sie wissen, wovon Sie reden, ziehe ich ebenso vor Ihnen den virtuellen Hut! Und: Danke. :-)
Kinkerlitzch3n - 2006-02-10 20:06

Oh, und ich hatte schon Angst auch den Kopf gewaschen zu bekommen. *freu*
blackconti - 2006-02-09 23:32

Zuerst war ich sprachlos ob der Offenheit, mit welcher Sie Ihre Vergangenheit beschreiben, fasziniert und gleichzeitig voller Bewunderung für Ihren Mut. Ich kann hier eigentlich nicht mitreden, da mir solche Erfahrungen erspart geblieben sind. Eins aber ahne ich: Ihre Tochter, nein, Ihre Kinder haben eine gute Mutter.

Budenzauberin - 2006-02-10 16:28

Sie hätten mal meine "Lebensgeschichte" (mittlerweile wieder Offline) letzten Sommer lesen sollen, da wären Sie aber - wenn Sie hierbei schon sprachlos sind - hinten rüber geschlagen. ;-)
Ähm...nee, ernsthaft jetzt: Mut braucht es eigentlich nur an einer einzigen Stelle, nämlich zu erkennen, daß man so, wie man da gelebt hat, nicht alt werden möchte und man den anderen Menschen nicht (ver)ändern kann. Mit und durch nichts. Hat bei mir aber auch gedauert, bis es Klick gemacht hat, und ohne Hilfe von außen hätte es sicher auch noch länger gedauert.
Ich freue mich zwar über das Kompliment - der Satzanfang läßt ahnen, daß es noch ein aber geben wird, here it is: aber ich muß natürlich gestehen, daß auch ich nicht perfekt bin und früher auch oft verantwortungslos gehandelt habe, auch meinen Kindern gegenüber. Mag zwar nicht so schlimm gewesen sein, daß sie zumindest bis jetzt keine erkennbaren Schäden welcher Art auch immer davongetragen haben, aber ich wollte mich durch den Beitrag da oben (oder auch andere) ganz gewiß nicht auf einen goldenen Sockel stellen/ stellen lassen.
Trotzdem aber natürlich auch Ihnen ein ehrliches Danke für Ihre lieben Worte! :-)
twoblog - 2006-02-10 10:08

Erstaunlich.

An der Geschichte ist irgendwie fast erstaunlich, dass Sie im Laufe der Zeit nicht auch zur Flasche (mit Allohol drin) gegriffen haben. Kommt ja oft vor, dass gewisse Paare dann beginnen, sich gemeinsam dem Trinken hinzugeben. Nicht auszudenken für die Kinder.

Ihre Story zeugt von Offenheit, Mut und Besorgnis. Gute Mutter wohl. Und das ist gar kein Kompliment. Nur mein Gefühl, Mamabude! ;-).

Budenzauberin - 2006-02-10 16:33

Lieber Herr Twoblog.
Sicher erinnern Sie sich noch an meine bereits mehrfach erwähnten Beiträge von letztem Sommer, die - ich schrieb es gerade an Herrn Blackconti - mittlerweile ja wieder Offline sind. Die waren ja noch ein großes Stück ausführlicher. Darin stand auch, daß ich den Absprung von diesem Mann nicht allein geschafft habe. Das Netz, welches mich auffing, war zwar ständig vorhanden, aber ich sah es nicht, wollte es nicht sehen.
Ähm...warum schreibe ich das jetzt? Egal.

Selbst wenn ich trinken hätte wollen, hätte ich es ja gar nicht gekonnt.
War ja kein Geld für da. *g*

Danke für Ihre Anteilnahme und lieben Worte! :-)
serotonic - 2006-02-11 17:55

Liebe Bundenzauberin, es hat mich sehr bewegt, ihre Geschichte zu lesen. Ich bin selber ein Kind ähnlicher Umstände, und auch ich bestand irgendwann darauf, meinen Vater, und auch meine drei (Halb-) Geschwister kennenlernen zu wollen.

> Aber ich habe Angst.
> Nein, nicht vor ihm.
> Sondern davor, daß er meine Tochter enttäuscht.

Ich wurde enttäuscht. Schwer. Zwei Treffen mit meinen Geschwistern, drei Treffen mit meinem Vater wurden mir gegönnt, bevor mir Kontaktverbot mit meinen Geschwistern erteilt und mir offeriert wurde, dass ein weiterer Kontakt zum Vater nicht in Frage käme.

Doch hatte ich das Glück, eine solche Mutter zu haben, die sich trotz aller Bedenken ihnen sehr ähnlich engagierte, mich zuerst unterstützte, dann auffing und mich diesen Schock schnell, aber auch gründlich verarbeiten lies.

Ich bin mir sicher, dass gerade dieser Rückhalt das Wichtigste ist und alle Enttäuschungen nur noch halb so viel wiegen lassen. Und ich bin meiner Mutter heute noch unglaublich dankbar. Ich glaube fest, dass Ihre Tochter ähnlich fühlen wird, egal wie sich das Kennenlernen entwickelt.

Budenzauberin - 2006-02-15 08:56

Danke für Ihre lieben Worte!
vestibor - 2006-02-15 08:21

Wish it would rain down wäre mir als Titel eingefallen.

Ich bewundere ihren Mut. Als Mann weiß ich ehrlich nicht, ob ich den Mut an ihrer Stelle aufgebracht hätte. Man kann sich halt nur schwer in so eine Situation hineinversetzen.

Budenzauberin - 2006-02-15 08:57

Welchen "Mut" meinen Sie?
vestibor - 2006-02-15 15:45

Den Mut ihn zu verlassen.
Budenzauberin - 2006-02-15 16:25

Das war kein Mut.
Das war reiner Überlebenstrieb- und wille.
Und die Verantwortung gegenüber zweier Kinder.
vestibor - 2006-02-15 17:25

Im übrigen ist miterlebter Alkohlismus bis hin zum zu Tode trinken (nur Bekannter nicht Verwandter) der Grund warum ich seit jeher ausser einem Verdauungs-Fernet keinen Alkohol anrühre.

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