Babel.

Wie angekündigt, waren Herr B. und ich im Kino, im Film Babel.
Vorab hatte ich zwar einige Filmkritiken gelesen (so wie ich auch in der TV-Zeitschrift immer studiere, um was es in einem Film, und sei es nur ein Tatort, geht), und im Nachhinein kann ich auch bestätigen, daß sie es alle sehr gut treffen, dennoch fand sich keine Vorwarnung, wie emotional dieser Film wirklich ist. Und ich weiß jetzt auch, warum nicht: weil man das gar nicht beschreiben kann.
Ungefähr zur Hälfte des Films (Gesamtlänge 144 Minuten!) war ich kurz davor, zu gehen - zu bedrückend waren die Szenen, stets unterlegt mit mitreißender Musik. Wenn man von vornherein keine seichte Unterhaltung erwartet, zieht der Film einen schon nach kurzer Zeit mit, man leidet mit nahezu jedem einzelnen Darsteller, am meisten aber mit den Kindern.
Hätte ich, die schon im TV nicht die Bilder von weinenden, hungernden, traurigen Kindern ertragen kann, vorher gewußt, was in diesem Film alles passiert, hätte ich ihn mir gewiß nicht angeschaut. Nein, falsch ausgedrückt: es geht nicht um das Was den Kindern passiert, sondern wie intensiv es gezeigt bzw. grandios es gespielt wird. Man steckt so sehr in dem Film, daß man nicht eine Sekunde daran denkt, daß es in manchen Szenen ja nur "Ketchup", daß das alles nicht echt ist - man möchte in die Leinwand springen und die Kinder da rausholen, sie retten, in den Arm nehmen, trösten, und diesem ganzen Wahnsinn und Chaos einfach nur ein Ende bereiten.
Ich habe kein Problem mit harten Acionstreifen, wo sich Männer die Gehirne wegpusten und man in Zeitlupe beobachten kann, wie die Hirnmasse an die Wand hinter ihnen klatscht.
Aber die Action in diesem Film war anders. Emotional. Zu emotional. Zumindest für mich. Vielleicht bin ich auch einfach nur zu sensibel für sowas.
Babel ist so völlig anders als alles, was ich bisher gesehen habe. Ich glaube, für so einen Film gibt es nur zwei Bewertungen: entweder man mag ihn oder man mag ihn nicht.
Und obwohl er für mich stellenweise schwer auszuhalten war wegen dieser wahnsinnigen Emotionalität, die innen drin richtig weh tat, erhält er von mir das Prädikat "Grandios".
Ähnlich muß es auch den anderen Besuchern gegangen sein: sie verstummten innerhalb der ersten Viertelstunde, niemand (außer mir) hat gehustet, sich geschneuzt, und die Getränkeflaschen brauchte man zeitweise, um sich daran festzuhalten. Und falls ein Handy geklingelt hat, so habe ich es nicht gehört.
Ich war dann gerade in Mexico, Japan oder Marokko.
Casino - 2007-01-14 13:19

ja. genau, hätte ich von der rolle der kinder gewußt, wäre ich nicht reingegangen, wobei mir auch die hirnspritzfilme nicht gefallen. eine freundin neben mir, ohne kinder, sagte immerzu "also JETZT gehe ich...das halte ich nicht aus...nee, ich geh jetzt", während mich der zusammenhalt des film, seine konsequenz, getragen hat auch über die schrecklichen stellen mit der marokkanischen armee und dem kindermord. grandios, genau. aber nochmal geh ich nicht rein.

Budenzauberin - 2007-01-15 19:55

Es gibt eh nur wenige Filme, die ich mir mehrmals anschaue (hat überwiegend was mit meinem enormen Gedächtnis zu tun - wenn man sich an jedes Detail erinnern kann, sind vor allem krimis ziemlich langweilig, wenn man schon weiß, wer der Mörder ist. Da kann der Film noch so gut gemacht sein.), aber ich glaube zu wissen, wie Sie das bei diesem Film meinen. Gilt für mich auch: nicht nochmal.
Benutzer - 2007-01-14 18:24

sehr gut beschrieben - ich habe ihn auch gesehen

ein sehr bewegender Film

Budenzauberin - 2007-01-15 19:57

Danke.
Ich finde interessant, daß es Männer genauso empfinden und die Eindrücke scheinbar nichts mit der uns Frauen so oft zugeschriebenen Übersensibilität zu tun hat.
Benutzer - 2007-01-16 08:12

nicht nur Männer und Frauen sehen diesen Film so - sondern auch
"Fachleute" - heute nacht hat Babel den Golden Globe für das beste Drama
bekommen.
blackconti - 2007-01-15 12:50

Danke für den Filmtip. Habe hier bei Ihnen zum erstenmal davon gehört, erstaunlich, aber wir waren ja auch ein paar Tage fort und ohne Nachrichten, was übrigens ganz angenehm ist. Ich denke, diesen Film werde ich mir auch mal wieder im Kino anschauen.

Budenzauberin - 2007-01-15 19:58

Nachdem ich ja Ihre Filminteressen ein wenig kennengelernt habe, bin ich mir sicher, daß das ein Film ist, der Sie sehr beeindrucken wird. Bitte berichten Sie, wenn Sie ihn gesehen haben!
teacher - 2007-01-15 22:12

Jetzt MUSS ich ihn auch sehen.

Budenzauberin - 2007-01-15 22:38

Berichten auch Sie bitte, ich bin wirklich daran interessiert, wie andere (und vor allem Männer) ausdrücken, wie sie den Film empfanden. Auch wenn es völlig gegenteilig sein sollte!
teacher - 2007-01-17 08:28

Gestern wars so weit. Das Kino war ziemlich voll.
Babel ist ein gewaltiger Film, eigentlich drei Filme, die zu einem verschmelzen. Der Regisseur versteht es gut, die kleinen Ängste in uns zu wecken und zu möglichen Katastrophen aufzubauen.
Aber er übertreibt, sodass meine aufkeimenden Tränen noch vor dem Ausbruch verdunsten. Z.B. genügt es ihm nicht, die alltäglichen Ängste eines pubertierenden Mädchens zu zeigen, sie muss noch taubstumm sein, und mit dem Selbstmord ihrer Mutter leben.
Ich kann den Film aber bedenkenlos auch an Männer weiter empfehlen, er ist perfekt gemacht. Blendende Musik, schöne Kamerführung, tolle Story. Die Schauspieler sollen angeblich auch gut sein - das spielt für mich aber keine Rolle, am besten ich merke ihre guten Leistungen gar nicht (dann haben sie gut gespielt).
Persönlich betroffen war ich während des Zusehens an mehreren Stellen, aber interessanterweise nach dem Film nicht mehr. Er verfolgt mich nicht - das ist ein schlechtes Zeichen, er gibt mir zu wenig Rätsel auf. Das ist mein Hauptvorwurf an ihn. Ich möchte nämlich, dass mich gute Bücher oder Filme lange beschäftigen.
lottezwo - 2007-01-17 14:47

Dann versuchen Sie mal Donnie Darko. Nicht den "Director's Cut", sondern die Ursprungsfassung. Oder Igby. Die beiden haben mich lange nicht losgelassen. Behandeln allerdings beide eher eine Fänger-im-Roggen-Thematik.
teacher - 2007-01-17 16:51

Ich kenne Donnie Darko, er hat mir zu viel SF-Elemente, das entzieht ihn meiner realen Weltsicht. Über Igby muss ich mich schlau machen. Danke.
Budenzauberin - 2007-01-17 16:58

@Teacher: ja, das stimmt und ist ein Apsekt, der mir ebenfalls schon direkt nach Ende des Films aufgefallen ist: das fast nichts von der Betroffenheit während des Schauens hängenbleibt.
Mich hat persönlich die Szene "gestört", in der der marokkanische Junge in den Felsen sitzt und onaniert. Der Film hätte auch gut ohne dies auskommen können.
An der Geschichte des japanischen Mädchens hat mich auch einiges "gestört", aber es ging dann doch irgendwie in der Komplexität des Films und der Wucht der Musik und Kameraführung unter.
budenzauberer - 2007-01-18 11:02

Mir drängeln sich Bilder des Filmes gelegentlich noch ins Gedächtnis.

Was er mitteilt, ist unbequem und allgemein bekannt.

Die Welt ist Babel. Kein einziger der Protagonisten versteht (in jeder möglichen Hinsicht) irgendeinen der anderen Protagonisten. Im Großen äußert sich das gegenseitige Miß- und Nichtverstehen im Aufeinanderprallen der Kulturen - marokkanische und amerikanische in der einen, mexikanische und amerikanische in der anderen Episode. Ein tragischer Unfall wird für einen terroristische Akt gehalten, zwei Mexikaner, die mit weißen Kindern in die USA einreisen wollen, können nichts Gutes im Schilde führen, und müssen wie Verbrecher behandelt werden. Aber auch innerhalb der Kulturen gibt es Barrieren. Das können emotionale Barrieren sein, wie zwischen dem amerikanischen Ehepaar, das den Tod eines Kindes auf beziehungsstörende Art verarbeitet. Das können aber auch ganz profane Barrieren sein, wie die Taubheit des japanischen Mädchens, deren daraus resultierende Sehnsucht sich ins Zwanghafte zu steigern droht. Selbst im Mikrokosmos der marokkanischen Hirtenfamilie gibt es keinerlei gegenseitiges Verstehen. Der jüngere Sohn beobachtet heimlich seine knospende Schwester, die sich davon geschmeichelt fühlt, als sie es bemerkt. Ihr Vater erfährt davon und findet dies fast schlimmer, als den Schuß auf die Amerikanerin.

Der Film handelt von Unverständnis, und davon, dass mangelndes Verstehen anderer meistens tragisch endet. Aber es gibt auch kleine Zeichen der Hoffnung. Das Ehepaar, dass sich im Angesicht des Todes aneinander annähert, die Mexikanerin, die sich - obwohl ausgewiesen und ihrer Existenzgrundlage beraubt - von ihrer Familie aufgefangen wird, und möglicherweise wieder einen Mann an ihrer Seite hat, das taubstumme japanische Mädchen, dass sich eben nicht vom Balkon der Penthouse-Wohnung stürzt. Die Hoffnungen sind jedoch flüchtig und verschwindend gegenüber der Trostlosigkeit, in der die Figuren zurückgelassen werden.

Handwerklich fand ich den Film sehr ansprechend. Er nimmt sich viel Zeit, ist geduldig , dass es manchmal weh tut. Die Kamera ist neutral, fast dokumentarisch, ironische Brechungen oder Überzeichnungen sind mir keine aufgefallen. Es gibt viele Großaufnahmen, die den Schauspielern einiges abverlangen. Die Darsteller agieren bis auf Brad Pitt sehr glaubwürdig.
Budenzauberin - 2007-01-19 10:04

Schön geschrieben. :-)

Aber obwohl ich nicht gerade Fan von Brad bin, fand ich auch ihn in seiner Rolle (die ja im Übrigen nicht mehr Gewicht hatte als die anderen) überzeugend. Lag vielleicht auch nur an seinem Bart. ;-)

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